Der Waffenpaß wird zu einem Phantomrecht

Die Besitzer legaler Schußwaffen in Österreich kennen die Problematik mittlerweile zur Genüge: Waffenpässe – obwohl im Waffengesetz formal immer noch enthalten – gibt’s faktisch nur mehr für Polizisten und Justizwachebeamte. Die Behörden weigern sich mit Händen und Füßen dagegen Waffenpässe für nicht privilegierte Personen auszustellen. Gefährdungssituationen – so wie im Gesetz normiert – scheint es keine mehr zu geben. Angriffe gegen Leib und Leben sind nach den Behörden und Gerichten wohl Mythen aus grauer Vorzeit, in der die österreichischen Waffenbehörden noch Waffenpässe ausstellten. Aber jetzt ist Österreich eine Insel der Seligen, auf der Friede und Eintracht herrschen und die Messerstechereien in den paar Problemzonen nicht der Rede wert sind. Klingt das zynisch? Mag schon sein, aber das jüngst gefällte Erkenntnis des VwGH, womit die durchgeführte Ausstellung eines Waffenpasses durch das Verwaltungsgericht Wien aufgrund einer Amtsrevision der Landespolizeidirektion Wien vom Verwaltungsgerichtshof (dem Höchstgericht) wieder rückgängig gemacht wurde, fordert geradezu heraus.
In der Tageszeitung „Die Presse“ wurde das genannte Erkenntnis des VwGH zu Ra 2024/03/0052, von Mag. Benedikt Kommenda besprochen („Die Presse“ vom 23. Juni 2025). Als Gastkommentator durfte ich dazu meinen Kommentar abgeben („Die Presse“ 07.07.2025). Der link zum VwGH-Erkenntnis: RIS – Ra 2024/03/0052 – Entscheidungstext – Verwaltungsgerichtshof (VwGH)
Waffenpaß nur post mortem?
Ein Kommentar zur stillen Abschaffung eines gesetzlichen Rechts
Der Verwaltungsgerichtshof hat am 7. Mai 2025 eine jener Entscheidungen (Ra 2024/03/0052) gefällt, die juristisch korrekt wirken mögen, tatsächlich aber symptomatisch für eine tiefere Schieflage stehen: Das österreichische Waffenrecht sieht in § 22 Abs. 2 Z 1 WaffG ausdrücklich vor, daß verläßlichen Personen dann ein Waffenpaß auszustellen ist, wenn sie besonderen Gefahren ausgesetzt sind, denen am zweckmäßigsten mit Waffengewalt begegnet werden kann. Das Gesetz will Schutz vor dem Ernstfall, nicht erst Waffen nach dem Leichensack, und wurde über die Jahre von Waffenbehörden und Höchstgerichten (ohne bekannte Zwischenfälle) auch so (wenn auch immer restriktiv) ausgelegt.
Doch dieses gesetzlich verankerte individuelle Recht ist nun in der Praxis faktisch abgeschafft. Verwaltungsbehörden und selbst der VwGH agieren zuletzt, als stünde ihnen ein politisches Mandat zu: Waffenpässe sind unerwünscht, also werden sie – unabhängig von Sachlage oder Gesetz – im Regelfall ohne inhaltliche Befassung mit dem Antrag verweigert. Selbst konkrete Drohungen durch gewaltbereite Personen mit Vorstrafen, dokumentierte Aggressionen und eine berufsbedingte erhöhte Gefährdungslage, wie sie einige Berufsgruppe (darunter Rechtsanwälte) betreffen, führen nicht mehr zur Ausstellung.
Das Argumentationsmuster ist stets gleich: Es fehle an konkreten Gefahren – und mit der Polizei stünde ja ein Schutzorgan zur Verfügung. Daß Gefahren präventiv zu begegnen ist – gerade der Sinn eines Waffenpasses – wird ignoriert. Daß die Polizei in akuten Bedrohungslagen oft nur nach dem Geschehen eingreifen kann, ebenso. Und daß das Gesetz keine vollendete Körperverletzung (oder Schlimmeres), sondern eine besondere Gefahrenlage verlangt, wird durch semantische Klimmzüge ausgehöhlt.
In der Konsequenz hat sich eine Rechtsanwendung etabliert, die sich nicht am Gesetz, sondern an politischen Opportunitäten orientiert. Es gilt: Was nicht sein soll, wird administrativ verunmöglicht. Die Sicherheitslage mag objektiv schlechter werden – die rechtliche Schwelle zum „Bedarf“ wird gleichzeitig immer höher geschraubt, bis sie in der Realität unüberwindbar wird.
Das aktuelle Erkenntnis ist kein Einzelfall, sondern ein Baustein in einer Entwicklung, die aus dem Waffenpaß ein Phantomrecht macht. Wer sich auf das Gesetz und dessen korrekte Anwendung durch Behörden und Gerichte verläßt, wird enttäuscht. Was bleibt, ist eine Rechtsstaatlichkeit nach dem Prinzip Hoffnung – und die bittere Erkenntnis: In Österreich erhält man einen Waffenpaß erst dann, wenn man ihn nicht mehr braucht.
DI Mag. Andreas Rippel
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Foto: copyright IWÖ