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IWÖ – Interessengemeinschaft Liberales Waffenrecht in Österreich

Schüsse auf Schmuckräuber: Notwehr oder Selbstjustiz?

Tödliche Schüsse auf den Räuber eines Juweliergeschäftes erhitzen in Nizza/Frankreich die Gemüter. Was war geschehen? Wie so oft wurde ein Juwelier Opfer eines Raubüberfalles, auch die Juweliere an der Côte d’Azur wurden in den vergangenen Monaten vermehrt und zum Teil spektakulär ausgeraubt. Auch in österreichischen Medien wurde über den 100-Millionen-Euro-Raub in Cannes berichtet, bei dem ein bewaffneter Krimineller wertvollste Preziosen an sich brachte.

Warum gelangte aber ein fast alltäglicher Raub sogar in die ausländischen Medien? Der Täter, ein junger Mann, „Anthony, 20“, wurde vom Juwelier erschossen, als der Täter bereits auf einem Roller durch eine Nebenstraße von Nizza fuhr. Die Schüsse trafen den Täter im Rücken, der daraufhin starb. Anthony wird als „kleiner Fisch“ beschrieben, ein Junge aus einer Arbeitersiedlung bei Nizza. Bis zu dem Juwelierraub hatte er seinen Lebensunterhalt mit dem Diebstahl von Fahrzeugen finanziert, er wurde von Sozialarbeitern betreut. Er hatte keine Ausbildung, keine Arbeit, die Tage über hing er mit seinen Freunden in Nizza herum.

Wie berichteten nun viele Zeitungen über den Fall? Die Schüsse auf den Täter wurden plakativ als Selbstjustiz beschrieben. Für den Juwelier demonstrierende Menschen wurden als aufgebrachter Mob beschrieben und Aussagen wie „Der Juwelier hat gemacht, wozu unser Staat nicht mehr fähig ist“ wurden herb kritisiert. So schreibt beispielsweise Spiegel Online: „Nizza’s Rathaus heizt die Stimmung weiter an. Am Tag der Erschießung besuchte Bürgermeister Christian Estrosi vor den Kameras die Familie des Juweliers und sicherte ihnen seine Unterstützung zu. Für die Familie von Anthony, die ihren Sohn, Bruder und Enkel verloren hat, hatte der Konservative hingegen kein Beileid und auch keinen Besuch übrig.“ (www.spiegel.de/panorama/justiz/juwelier-erschiesst-dieb-und-wird-als-held-gefeiert-a-922502.html)

Die Polizei würde inzwischen Nachfolgetaten von aufgebrachten Händlern oder Villenbesitzern fürchten, die echte oder vermeintliche Einbrecher stellen wollen. „Hier kam etwas Unheilvolles in Gang, sagt ein Streifenpolizist aus Nizza, der nicht genannt werden möchte“ (Spiegel Online, aaO). Mit großem medialen Lob wurde von der Familie des erschossen Räubers eine Facebook-Seite gestartet, auf der Menschen „die Selbstjustiz und die Mitleidlosigkeit der Juwelier-Fans bedauern.“ (Spiegel Online, aaO).

Wie wäre nun die rechtliche Situation in Österreich? Kann überhaupt Notwehr vorliegen, wenn eine Person in den Rücken geschossen wird, oder war es doch Selbstjustiz?

Nach österreichischem Recht handelt eine Person nicht rechtswidrig, die sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren (§ 3 Strafgesetzbuch).

Diese gesetzlichen Gegebenheiten haben zur Folge, daß die Notwehr folgende Merkmale besitzt: Es muß ein gegenwärtiger oder unmittelbar drohender Angriff vorliegen, das heißt eine tatsächliche Bedrohung eines notwehrfähigen Rechtsgutes. Der Angriff muß gegenwärtig, das heißt im Gange befindlich, oder unmittelbar bevorstehend, in enger räumlicher und zeitlicher Nähe zum Angriffsobjekt, sein. Der Angriff muß rechtswidrig sein. Dies bedeutet, daß beispielsweise der Einbrecher gegenüber dem den Einbrecher stellenden Hauseigentümer nicht Notwehr üben kann; gleiches gilt beispielsweise auch für die Handlungen eines Straftäters gegenüber einem Polizisten. Es muß ein Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut vorliegen, wobei zu beachten ist, daß nicht alle Rechtsgüter notwehrfähig sind, sondern nur Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen. Daher genießt die Ehre nicht Notwehrschutz.

Der Angegriffene darf sich auch nur der notwendigen Verteidigung bedienen. Notwendig ist jene Verteidigung, die gerade so weit geht, damit der Angriff in seiner konkreten Gestalt verläßlich, das heißt sofort und endgültig abgewehrt werden kann.

Nun, was bedeutet dies für den Fall des Juweliers in Nizza? Der Räuber dürfte von hinten, auf einem Motorrad flüchtend, erschossen worden sein. Auf den ersten Blick sieht es daher so aus, als wäre der Angriff auf die Güter des Juweliers bereits beendet gewesen und wäre daher Notwehr nicht zulässig. Hier muß man aber differenzieren: Hat der Täter keine Beute gemacht oder diese Beute bereits auf der Flucht weggeworfen oder sie einem anderen Täter übergeben, dann liegt sicherlich keine Notwehrsituation vor (möglicherweise aber eine Putativnotwehrsituation, aber diese Betrachtung würde hier zu weit gehen). Es liegt nämlich kein Angriff auf ein notwehrfähiges Gut vor. Ist der Täter aber noch im Besitz der Juwelen, so liegt ein gegenwärtiger Angriff auf die Juwelen vor. Juwelen sind ein vermögenswertes Gut und ist nach österreichischem Recht Notwehr bei einem Angriff auf Vermögen zulässig.

Der Angriff des Juwelierräubers ist offensichtlich rechtswidrig. Zu prüfen bleibt daher weiters, ob die Schüsse in den Rücken das Maß der notwendigen Verteidigung überschritten haben oder nicht. Hier ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen, diese Umstände sind uns natürlich nicht exakt bekannt. Wäre aber dem Räuber die Flucht gelungen, oder besser gesagt konnte der Juwelier zu Recht zum Zeitpunkt der Schüsse davon ausgehen, daß dem Räuber die Flucht gelingt und hatte der Räuber die erbeuteten Juwelen noch bei sich und gab es kein anderes Mittel die Flucht zu stoppen als durch die Schüsse, dann wären auch die Schüsse in den Rücken nach österreichischem Recht in Notwehr geschehen.

Aber Achtung: Der juristische Grat, auf dem man wandelt, wenn man einem Räuber nachschießt ist sehr schmal. Nur wenn der Täter beispielsweise die Beute weggeworfen hat, liegt keine Notwehrsituation mehr vor. Schüsse auf einen flüchtenden Täter (auch wenn man glaubt, daß dieser noch immer die Beute bei sich trägt), sollte man daher zumindest im Zweifelsfall unterlassen.

Da unter den obigen Kriterien selbst die Schüsse auf einen Täter in den Rücken keine rechtswidrige und verbotene Handlung darstellen, kann man wohl auch nicht von Selbstjustiz sprechen. Selbstjustiz bezeichnet nämlich das außergesetzliche Vorgehen von nicht dazu Berufenen gegen eine Straftat. Bereits seit Jahrhunderten behält sich zumindest in Europa der Staat das Recht der Bestrafung selbst vor. Wird nun gegen dieses Gewaltmonopol des Staates bei der Bestrafung von Tätern verstoßen, spricht man von Selbstjustiz.

Notwehr ist aber etwas völlig anderes und sollte die Unterscheidung auch immer scharf gemacht werden. Notwehr ist Selbstverteidigung im Rahmen der Rechtsordnung und nicht Selbstjustiz. Die Selbstjustiz dient nicht der Abwehr eines Angriffes wie demgegenüber die Notwehr, sondern der nachträglichen Bestrafung des Täters. Die Bestrafung des Täters ist aber Aufgabe der staatlichen Justiz.

Dazu in keinem Widerspruch steht es aber, sich für das Recht auf Notwehr einzusetzen. Wer in Notwehr handelt, verteidigt einerseits sich selbst, und andererseits auch das durch den rechtswidrigen Angriff verletzte Recht an sich.

Mag. Eva-Maria Rippel-Held

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