Waffenpässe – gibt es die noch?
Nach den inhaltlich seit Jahrzehnten nahezu unveränderten Bestimmungen des Waffengesetzes sind Waffenpässe zum Führen von Faustfeuerwaffen (nunmehr Schußwaffen der Kategorie B) Personen auszustellen, die besonders gefährdet sind. Das im Waffengesetz (§ 22 Abs. 2) genannte Beispiel knüpft an „besondere Gefahren“ an, die „außerhalb von Wohn- oder Betriebsräumen oder der eingefriedeten Liegenschaften“ des Betroffenen bestehen müssen, und denen „am zweckmäßigsten mit Waffengewalt wirksam begegnet werden kann“.
Unter der Prämisse, daß die Anzahl der Waffenpässe gering gehalten werden soll und nicht jedem unbescholtenen verläßlichen Bürger ein Waffenpaß augestellt werden soll, ist diese gesetzliche Regelung durchaus als in Ordnung zu bezeichnen. Wenn eben eine besondere Gefahr für den Betroffenen besteht, ist ein Waffenpaß auszustellen.
Bereits seit langem wird diese gesetzliche Regelung von den Waffenbehörden mit Deckung des Verwaltungsgerichtshofes unterlaufen.
Einerseits werden selbst massive Gefahren nicht mehr als „besondere Gefahren“ anerkannt und andererseits werden an das Kriterium „am zweckmäßigsten mit Waffengewalt wirksam begegnet werden kann“ teilweise absurde Anforderungen gestellt. Dazu werden auch noch weitere Umstände „erfunden“ unter denen Waffenpässe nicht auszustellen wären.
Ein besonderes Paradebeispiel dieser Judikatur ist ein neues Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (vom 19.03.2013, Zl. 2013/03/0014-5). In diesem Verfahren hatte die Ausstellung eines Waffenpasses eine Person begehrt, die das Inkassogewerbe ausübt und österreichweit Leasingfahrzeuge für Leasingunternehmen zurückholt. Dieser Waffenpaßwerber wird von den Leasinggesellschaften sozusagen als letztes Mittel eingesetzt. Zahlt der betroffene Leasingnehmer oftmals nicht und wird auch qualifiziert gemahnt etc., dann wird der gegenständliche Waffenpaßwerber zu dem betroffenen Leasingnehmer geschickt. Dem Waffenpaßwerber soll in der Folge das Leasingobjekt zurückgegeben werden, wobei teilweise auch eine Bezahlung der offenen Raten und dergleichen möglich ist.
Der Waffenpaßwerber konnte nachweisen, daß er in Ausübung seiner Tätigkeit mit Waffen bedroht wurde, ein Leasingnehmer fuhr mit dem Leasingobjekt gegen den Waffenpaßwerber, dieser wurde auch mit Schlagstöcken und einer Hacke bedroht und dergleichen; ein Leasingnehmer beschädigte das Leasingobjekt voller Wut so stark, daß eine Sicherstellung durch den Waffenpaßwerber nicht mehr in Betracht kam. Es wurden vom Waffenpaßwerber und von den Leasinggesellschaften verschiedenste Anzeigen gemacht, die auch (teilweise) zu Verurteilungen führten.
Wenn Sie nun glauben, daß durch eine derartige Tätigkeit nach dem Verwaltungsgerichtshof die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Waffenpasses erfüllt sind, dann irren Sie sich.
Der Verwaltungsgerichtshof legte dar, „daß die Durchführung von Geldtransporten – auch in den Abendstunden – und selbst das Mitführen sehr hoher Geldbeträge [!!] nicht schon an sich eine Gefahr darstellt, die einen Bedarf zum Führen genehmigungspflichtiger Schußwaffen begründet. Klargestellt wurde dabei, daß die Notwendigkeit des Transportes von Geldbeträgen im allgemeinen kein deutlich erhöhtes Sicherheitsrisiko bedeutet.“ Selbst das Mitführen sehr hoher Geldbeträge stellt keine Gefahr dar, die einen Bedarf zum Führen von Faustfeuerwaffen begründet? Nun, man kann es ja beinahe täglich lesen. Raubüberfälle in Österreich sind so selten und kaum vorkommend, wie könnte jemand auf die Idee kommen, daß ein Transporteur von sehr hohen Geldbeträgen gefährdet wäre.
Doch weiter der Verwaltungsgerichtshof: „Die vorgebrachten Vorfälle bezüglich der Rückholung von Leasinggegenständen (bzw. der Entgegennahme von Geld) lassen nach diesem Maßstab nicht erkennen, daß es für den Beschwerdeführer in einer derartigen Situation zweckmäßig gewesen wäre, eine Faustfeuerwaffe zu führen, um der Gefahrenlage wirksam zu begegnen. In den von ihm geschilderten Fällen hat sich der Beschwerdeführer (ohne Gewaltanwendung) dem Zugriff entziehen und den Ort des Geschehens verlassen können.“ Interessante Rechtsmeinung, nicht? Wenn sich jemand aus glücklichen Umständen bis dato dem Zugriff ohne Gewaltanwendung entziehen konnte, dann soll kein Bedarf bestehen. Ein Waffenpaßwerber muß sich daher nach dem Verwaltungsgerichtshof zumindest einmal „halbtot“ schlagen lassen, dann könne man über die Ausstellung eines Waffenpasses – vielleicht – nachdenken.
Verwaltungsgerichtshof: „Auch die Hinweise des Beschwerdeführers auf die Möglichkeit von Anzeigen zur Ahndung von Vorfällen zeigen, daß ihm andere Möglichkeiten als die Anwendung von Waffengewalt zur Verfügung stehen, um auf das Verhalten von anderen Personen bei diesen Vorfällen zu reagieren; wenn – wie behauptet – eine Polizeidienststelle eine Anzeige nicht entgegennahm, so steht es dem Beschwerdeführer doch offen, Vorfälle schriftlich an die Strafverfolgungsbehörden heranzutragen.“ Es wird immer besser: Bitte, was hat es damit zu tun, daß nachher – zumindest wenn man es überlebt – Anzeige erstattet werden kann? Dadurch wird doch in keinster Weise die Gefahr gemindert oder der Täter an der Verübung eines Verbrechens gehindert! Eine Anzeigeerhebung im Nachhinein ist sicher gut und schön und hat vielleicht manchmal ihren Sinn, dem Opfer nützt sie aber zum Zeitpunkt des Überfalles herzlich wenig.
Verwaltungsgerichtshof: „Zudem kann die Bekämpfung einer etwaigen Gefahrensituation durch Waffengewalt zu einer erheblichen Gefährdung Unbeteiligter führen, der Versuch, Gefahrensituationen mit Waffengewalt hintanzuhalten, kann eine Erhöhung der Gefährlichkeit solcher Situationen mit sich bringen.“ Können Sie dem Verwaltungsgerichtshof noch folgen? Ich kann es eigentlich nicht mehr: Von welcher Erhöhung der Gefährlichkeit der Situation spricht das Höchstgericht? Eine Gefährlichkeit für den Täter? Oder eine Gefährlichkeit für das Opfer? Wenn der Täter gemeint ist, kann ich darauf eigentlich nur mit „Pech gehabt“ antworten. Das Begehen von Straftaten ist eben gefährlich und hält sich zumindest mein Mitleid mit Tätern in Grenzen und sehe ich keine Veranlassung – auf Kosten des Opfers – die Gefährlichkeit für Täter zu reduzieren. Wenn man hingegen sonstige Personen oder das Opfer meint, dann unterstellt man diesem sich nicht adäquat mit der Schußwaffe zu verhalten. Gemeint ist vielleicht das Argument, daß die Waffe dem Opfer vom Täter entrissen werden könnte und gegen das Opfer oder Dritte eingesetzt werden könnte. Wenn dem tatsächlich so ist, warum werden dann unsere Polizisten mit Schußwaffen ausgestattet? Hindert die blaue Uniform einen Täter wirklich dem Polizisten die Schußwaffe zu entreißen? Entreißt man die Schußwaffe tatsächlich nur Zivilpersonen?
Eine Krone setzt sich der Verwaltungsgerichtshof mit seinem letzten Argument gegen die Ausstellung des Waffenpasses auf: „Zu den von dem Beschwerdeführer bei seiner beruflichen Tätigkeit befürchteten gefährlichen Angriffen ist der Vollständigkeit halber schließlich auf das Sicherheitspolizeigesetz hinzuweisen. Die Abwehr einer allgemeinen Gefahr wie der rechtswidrigen Verwirklichung eines Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung (die vorsätzlich begangen wird) nach dem Strafgesetzbuch, wie dies dem Beschwerdeführer bezüglich befürchteter Eingriffe in sein Leben bzw. seine körperliche Integrität offensichtlich vor Augen steht, kommt nach diesem Gesetz den Sicherheitsbehörden und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (dazu zählen insbesondere die Angehörigen des Wachkörpers Bundespolizei) die für die Sicherheitsbehörden den Exekutivdienst versehen, zu.“ Was bedeutet diese Aussage? Ganz einfach. Der Verwaltungsgerichtshof möchte das Instrumentarium der Notwehr völlig auf den Kopf stellen. Natürlich kommt es der Polizei zu Gefahren durch das Begehen von vorsätzlichen Straftaten abzuwehren. Dies ist neben der Verbrecherverfolgung die ureigenste Aufgabe jedes Sicherheitsdienstes. Aber was nützt einem Opfer das Sicherheitspolizeigesetz, wenn es einem Täter gegenübersteht? Schüchtert dann das Opfer den Täter mit der Aussage ein, daß die Polizei zur Bekämpfung des Täters leider zwar nicht anwesend, aber doch zuständig ist? Wo steht es im Gesetz, daß ein Opfer unbewaffnet einem Angreifer gegenüber zu stehen hat, weil die Abwehr von Angriffen grundsätzlich der Polizei zukommt? Warum darf sich ein Opfer nicht adäquat wehren, wenn polizeiliche Hilfe zu spät kommt?
Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in Waffenrechtsangelegenheiten ist restriktiv und streng. Manchmal ist dies vom Gesetz vorgegeben, manchmal kann man auch für die Entscheidungen Verständnis aufbringen. Das gegenständliche Erkenntnis des VwGH zählt nicht zu dieser Gruppe. Hier wird das Gesetz „verdreht“ um zum gewünschten Ergebnis, nämlich Nichtausstellung eines Waffenpasses, zu gelangen. Rechtsstaat – quo vadis?