Der therapeutische Staat und seine Trommler
„Schau auf dich, schau auf mich!“ So lautet der von der österreichischen Bundesregierung ausgewählte Titel einer Informationskampagne, die im Rahmen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie Akzeptanz für die von ihr verhängten Maßnahmen schaffen soll.
Der von einer deutschen Werbeagentur erdachte „Babyelefant“ als Maßstab für den nunmehr zu anderen Personen im öffentlichen Raum einzuhaltenden Abstand wird in Werbespots von einem Kleinkind dargestellt, das darin verzweifelt versucht zu eng aneinander stehende Menschen zu trennen. Die Intention war es wohl, der Härte der Maßnahmen welche große Teile der Wirtschaft und praktisch das gesamte öffentliche Leben lahm legen, mit infantilem Charme entgegenzuwirken. Fast wöchentlich wartet die in ihren Wohnungen isolierte Bevölkerung auf die Pressekonferenzen der zuständigen Minister, in denen die neuesten Regelungen für Betriebe, Schulen, Privatpersonen etc. ausgegeben werden. Weniger charmant aber fast genauso infantil berufen sich dabei die wissenschaftlich eher weniger firmen Akteure geradezu mantrisch auf „die Wissenschaft“. In der letzten dieser inflationär abgehaltenen Pressekonferenzen wurde nunmehr die Einführung einer Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken anstelle des einfachen Mund-Nasen-Schutzes verkündet, da dieser offensichtlich zum Schutz vor Ansteckung nicht mehr ausreiche. Sicher schockierte es einige, daß der Stoffetzen den sie monatelang vor ihren Gesichtern trugen, sie wohl doch nur vor dem Bußgeld schützte. Und manchmal gibt es auch eine Pressekonferenz, um uns einfach darüber zu informieren, wann die nächste Presskonferenz stattfindet.
Täglich beliefert uns „die Wissenschaft“ auch mit den neuesten Zahlen betreffend Infektionen, Genesungen und Todesfällen. Der Vortragsstil der sie überbringenden Moderatoren unterscheidet sich von dem des Wetterberichtes nur noch um eine marginal düsterere Miene. Untermalt werden diese Zahlen, die offenbar genauso wenig hinterfragt werden können wie Wasserstandsmessungen gerne mit effektvollen Schauergeschichten. Ein österreichischer Nachrichtensender ließ sogar mehr oder weniger bekannte Schauspieler herzzerreisende Horrorberichte von Ärzten und Pflegerinnen aus heillos überfüllten Intensivstationen vortragen. Offenbar empfanden es die Verantwortlichen für notwendig, ihre sonst so seriöse und vor allem objektive Berichterstattung für einige Minuten zu verlassen, um der Ernsthaftigkeit dieser Thematik beim ohne diese Aufklärungsarbeit verblendeten Publikum zusätzlich Nachdruck zu verleihen.
Generell ist die Rolle der etablierten Medien auch in dieser Krise – so wie in Finanzkrise, Ukrainekrise, Migrationskrise, Klimakrise etc. – keine besonders rühmliche. Wir sind die selektive Berichterstattung, die Vermischung von dieser mit reinem Meinungsjournalismus, die peinliche Verflachung politischer Diskurse und vor allem die absolute Reflexionslosigkeit, mit der sich die öffentliche Meinungsmache vollzieht, schon seit Jahren gewohnt. Auch die Reaktionsschemata mit denen auf abweichende Ansichten reagiert wird, werden bereits derart automatisiert angewandt, daß der pawlowsche Hund um seinen Status als Metapher fürchten sollte. Haß, Hetze, Verschwörungstheorie, Fake News, X-Leugner: mit diesen Zauberwörtern kann jede noch so fundierte Kritik von jedem noch so ahnungslosen Meinungsmacher schon im Keim erstickt werden. Eigens dafür gepushte Experten sind Stammgäste auf allen Sendern und geben Ratschläge, wie mit solchen quasi Geisteskranken zu verfahren sei. Tageszeitungen liefen mit Artikeln wie „Hilfe, meine Eltern sind Corona-Leugner!“ Tipps für den Umgang mit Uneinsichtigen in der eigenen Familie. Das Bild, welches darin gezeichnet wird ist völlig klar: Entweder Sie teilen die medial vorherrschenden Erzählungen und Deutungsmuster oder Sie widersprechen „der Wissenschaft“, sind also für rationale Argumente nicht mehr zugänglich und gehören damit in die gleiche Schublade, wie Flacherde-Anhänger und Chemtrail-Gläubige. Diese Polarität wird von etablierten Experten leichthändig konstruiert, nicht ohne gleichzeitig allen Ernstes zu betonen, daß solcherlei abweichende Ansichten es sind, welche die Gesellschaft spalten würden.
Gut, solidarisch und vor allem rational sind Sie hingegen, wenn Sie die verheerenden wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und psychologischen Folgen der Maßnahmen mit dem Verweis auf ein bis zur Unkenntlichkeit verkürztes Verständnis von Wissenschaft billigend in Kauf nehmen. Einem großen Teil der Bevölkerung (der sich nicht ohnehin schon in einem staatlichen Dienst- oder Versorgungsverhältnis befindet) kommen jegliche Formen von Planungssicherheit abhanden und werden sinnstiftende Lebensentwürfe zunichte gemacht. Der Weg in die staatliche Abhängigkeit bleibt oftmals die einzige Option. Kinder und Jugendliche werden über Monate von ihren Bezugsgruppen getrennt und fristen ihren mittlerweile völlig virtualisierten Alltag zwischen Distance-Learning, Social Media und Online-Gaming – mit unabsehbaren Folgen für die Identitätsentwicklung. Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit werden mit dem Verweis auf das höhere Gut der Volksgesundheit, welche sich nur noch am alleingeltenden Kriterium der Covid19-Infektionszahl bemißt, ausgesetzt. Das alles sind für die Verantwortlichen in Politik, Medien und Wissenschaften lediglich Kollateralschäden, mit denen sich die verängstigen Bürger gefälligst abzufinden haben, wollen sie nicht als „Covidioten“ von der großen Solidargemeinschaft im schützenden Schoße von Mutter Staat ausgeschlossen werden.
Das ist Österreich im Jahr 2021. Wer braucht da noch Verschwörungstheorien?
Fabio Witzeling, MA, Soziologe