Der Kampf um die Normalität
So schnell kann es gehen. Vor Kurzem sah sich die FPÖ noch angekommen. Als Partnerin auf Augenhöhe, umarmt in einer harmonischen Koalition mit stabilen Beliebtheitswerten in der Bevölkerung und einer noch stabileren Message Control gegenüber den Medien.
Für die österreichische Seele wohltuend unterschied sich die professionell nach außen konzertierte Zusammenarbeit von vorangegangenen Regierungen mit ihren oft unappetitlichen Reibereien und Dolchstößen. Die damals neue Regierung schien sich nicht nur inhaltlich von diesen abzusetzen, sondern pflegte auch einen anderen, fast freundschaftlichen Stil im parteiübergreifenden Umgang miteinander. In den Gesichtern so mancher Protagonisten machte sich unverkennbar der Ausdruck einer gesetzten Zufriedenheit breit – wer konnte es ihnen nach den vielen Jahren des Kampfes um die Akzeptanz auch verdenken?
Aus der Asche des Dritten Lagers kämpfte man sich von Wahl zu Wahl über viele Hindernisse und so manchen großzügig medial ausgeschlachteten Skandal wieder nach oben. Die dezidierte Ablehnung der Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der FPÖ schien schließlich nur noch eine Angelegenheit für die altbekannten hypermoralischen Hysteriker und kleingeistige Apparatschiks, die um ihre Pfründe bangen. Schließlich tat sich in einer historischen Ausnahmesituation – vor allem bedingt durch die Migrationskrise – ein Zeitfenster auf, in dem Parteilinie und die Bedürfnisse der Bevölkerung in einer besonders günstigen Konstellation standen. „Es ist Zeit“ ließ Sebastian Kurz damals neben seinem verträumt-entschlossenen Gesicht affichieren. Der vermeintlich nichtssagende Slogan wirkte für die FPÖ zunächst als vielversprechender Lockruf, doch entpuppte sich nunmehr als Menetekel.
Nur ja nicht zu viel wollen
Eine Halbwertszeit von zehn Jahren wurde der neuen türkis-blauen Regierung von vielen Experten prophezeit – ein Beweis mehr für die Überzeugungskraft des Bildes der gut geölten Koalitionsmaschine. Ein Bild unter dessen Bann seine Produzenten offensichtlich selbst standen – zumindest die blaue Hälfte. Für die Hoffnung endlich dazuzugehören, nahm man auch so manche aufgenötigte Distanzierung in Kauf. Was sind schon ein paar verprellte Kernwähler, die außer der Abwanderung ins Lager der Nichtwähler eh keine Alternative haben? Außerdem war man in diesem Spiel ja bereits geübt durch harte Oppositionsjahre im Kreuzfeuer wenig freundlich gesinnter Medien, die keine Gelegenheit ausließen, jeden Fauxpas zur Staatskrise hochzustilisieren. Das Distanzierungsspiel wurde zum Automatismus und Sicherheit suchte man in Einheit. Nur ja nicht ausscheren, ja nicht zu viel wollen, ja keine Fehler machen – das war die Devise auch als Regierungspartei. Traumatisiert von den Erfahrungen der Wenderegierung ab dem Jahr 2000, hoch besorgt um den Koalitionsfrieden mit dem anscheinend wohlwollenden Partner und gehemmt von der internalisierten Gefahr durch ständige Angriffe von außen verharrte die Partei im Modus der Defensive.
Nicht ganz eineinhalb Jahre lang machte sich diese Strategie schließlich bewährt – bis zum Paukenschlag. Der Narrativ der gut geölten Maschine wurde innerhalb eines Tages verdrängt durch eine weitaus wirkungsvollere, weil tiefere emotionale Schichten ansprechende Geschichte. Das Erscheinen des nun international bekannten Ibiza-Videos war der Startschuß für den Wettstreit zweier Deutungen: Die der Regierungsgegner sieht die nun beendete Regierungszeit wie eine schmutzige Affäre, bei der von Anfang an klar gewesen wäre, wie sie auszugehen habe: „Mit dieser FPÖ ist kein Staat zu machen.“ Das Video habe nur offenbart, was eh alle schon immer wußten und der Spuk habe nun vorbei zu sein. Die Republik kann nach dieser schändlichen Episode jetzt endlich wieder zur Besinnung kommen. Die Deutung der Regierungsbefürworter hingegen sieht die nun beendete Koalition als ein Erfolgsprojekt, durch welches der reformpolitische Stillstand aufgebrochen und zu großen Sprüngen in Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitspolitik zumindest angesetzt wurde. Dies hätte auch alles so wunderbar weitergehen können, um das Land auf Kurs zu bringen und von vergangenen Fehlentwicklungen gesunden zu lassen, wenn da nur nicht dieses eine unsägliche Video aufgetaucht wäre. Auch wenn der Kampf dieser beiden Deutungen für die kommenden Neuwahlen bestimmend sein wird – beide verfehlen den Kern der Problematik.
Die erste Interpretation muß in ihrer ideologischen Verstocktheit nicht weiter behandelt werden, vor allem weil die Empörung ihrer Proponenten durch inflationären Gebrauch massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Die Analyse der Verblendungen, die sich in der zweiten Deutung manifestieren, kann jedoch entscheidend für die Weiterentwicklung der Freiheitlichen Partei und des dritten Lagers als Ganzes sein. Denn in Wahrheit wäre das Projekt einer freiheitlichen bzw. konservativen Wende, das mit der beschriebenen Strategie verfolgt wird, mit oder ohne Ibiza-Video gescheitert.
Paradigmenwechsel
Die Grundproblematik liegt nicht im Fehlverhalten einzelner Akteure, von denen man sich immer wieder brav distanzieren kann, in der Hoffnung nicht selbst unter die Räder der veröffentlichten Empörungsmaschinerie zu kommen. Solche Vorkommnisse sind kaum vermeidbar und werden auch zukünftig passieren. Wie man aktuell beobachten kann, hat sich die ganze ängstliche Strategie als sinnlos erwiesen. Sogar nach dem raschen und konsequenten Rücktritt des Vizekanzlers, schlägt uns trotzdem aus zahlreichen Medien weiter der Wodka-Bull-Dunst entgegen, der am besten gleich das gesamte Lager einnebeln soll. Kabarettisten und Komiker im ganzen deutschsprachigen Raum übertrumpfen sich gegenseitig mit mehr oder weniger einfallsreichen Parodien der spanischen Szenen. Einen Tag nach dem Aufkommen des Videos versammelten sich am Ballhausplatz fröhliche Demonstranten mit „Refugees Welcome“-Tafeln und einigen Moderatoren und Reportern der Mainstream-Medien gelang es beim Berichten über die Entwicklungen kaum die Schadenfreude zu verbergen. Spätestens an diesem Punkt muss die Illusion, man könne es als rechte Partei den etablierten Medien und der ganzen intellektuellen Führungskaste, die immer noch die Deutungshoheit besitzt, je recht machen, an der Realität zerschellen. Und das ist auch gut so. Denn genau der naive Wunsch nach Akzeptanz in diesen Kreisen ist die Wurzel des Problems.
Ein falsches Verständnis davon, was das dritte Lager und was Politik an sich ausmacht ist die Basis der in Unsicherheit wurzelnden Sehnsucht dazuzugehören. Die Frage in dieser Situation darf nicht mehr lauten, wie dieser konkrete Vorfall hätte verhindert werden können, oder wie man die etablierten Medien, Kulturschaffenden und Intelektuellen nun beschwichtigen könne, sondern warum es kein eigenes derartiges Vorfeld gibt. Die metapolitische Arbeit in diesen Bereichen wird im konservativen Milieu gerne als Luxus betrachtet, als Nice-to-have, das man gerne ehrenamtlichem Engagement in parteinahen Organisationen überläßt. Ein allzu technisches Verständnis von Politik hindert das dritte Lager die Relevanz von Vorstößen in Kultur, Medien und Wissenschaften zu erkennen. Doch Krisensituationen wie die aktuelle könnten hier für mehr Offenheit sorgen, da nun offensichtlich wird, wo die wahre gesellschaftliche Macht liegt. Sollen auch noch so viele sachpolitische Reformprojekte bravourös umgesetzt werden – wenn das geistig-kulturelle Feld und damit die Deutungshoheit in gegnerischen Händen liegt, kann alles jederzeit wieder rückgängig gemacht bzw. zur Normalität zurückgeführt werden. Denn was normal ist, wird genau in diesem Feld definiert.
Viele sich im weitesten Sinne als konservativ, liberal oder national einordnende Personen versprachen sich von der nun gescheiterten Regierung zumindest den Ansatz eines Kulturwandels. Man war es leid den immer gleich gepolten Experten und Intellektuellen in ihrer medialen Dauerpräsenz die Meinungsführerschaft zu überlassen, weil gegenläufigen Stimmen einfach der Zutritt verwehrt wurde. Niemand erwartete sich eine komplette „Umfärbung“ in diesen Bereichen. Es hätte schon gereicht zu versuchen ein gewisses Gleichgewicht herzustellen. Doch anstatt Parallelstrukturen aufzubauen, hervorragende Köpfe und Organisationen im eigenen Umfeld zu fördern und somit nach dem Vorbild der Linken in den 60er Jahren die gesellschaftliche Deutungshoheit zumindest teilweise zu beanspruchen, versuchte man sich im vorherrschenden Mainstream zu legitimieren. Eine paradoxe Strategie, gerade in Zeiten in denen die realen Entwicklungen (vornehmlich die Migrationsproblematik) einer konservativen Erzählung quasi in die Hände gespielt hätten.
Die Chance ein metapolitisches Kraftfeld, das weit über die Grenzen des Lagers ausstrahlen könnte zu etablieren, war mit den Möglichkeiten der Regierungsverantwortung natürlich größer, doch ist auch jetzt nicht komplett verspielt. Vielleicht hilft der aktuelle Rückschlag die rein mechanistische Vorstellung von Politik zu erweitern und den traditionellen antiintellektuellen Reflex zu überwinden. Denn ohne diesen Paradigmenwechsel wird jede freiheitliche Regierungsbeteiligung nur ein Störgeräusch in der Geschichte und ohne nachhaltige Wirkung bleiben.
Fabio Witzeling
Forschungsschwerpunkte:
Werte und Einstellungen, Ideologieforschung, politische Institutionen, Wettbewerb und Strategien